Was Accessibility im E-Commerce bedeutet
Accessibility heißt: Jede Person kann deinen Shop nutzen. Unabhängig von Sehen, Hören, Motorik, Kognition oder Technik. Das betrifft Struktur, Semantik, Tastatursteuerung, Fehlermeldungen, Kontrast, Medien, Mails, PDFs und die ganze Journey bis zur Bestellbestätigung. Accessibility ist kein Styling. Accessibility ist Information und Interaktion.
Für Screenreader-User zählt die Ordnung im DOM. Sie „sehen“ Überschriftenhierarchie, Landmark-Rollen, Labels, Zustände und Fokusabläufe. Was nicht im Code steckt, existiert nicht. Deshalb ist semantisches HTML dein stärkstes Tool. Danach kommen sinnvolle ARIA-Attribute, die Lücken füllen, aber niemals falsches HTML kaschieren.
Zum Einlesen am Anfang empfehle ich zwei solide Grundlagen:
WCAG Überblick (W3C WAI) und BITV 2.0.
Screenreader in der Praxis: So „denken“ JAWS, NVDA und VoiceOver
Screenreader folgen dem Fokus und der semantischen Struktur. Sie geben Rollen, Namen und Zustände aus. Beispiele: „Link“, „Button erweitert“, „Checkbox nicht aktiviert“, „Überschrift Ebene 2“, „Liste mit 5 Elementen“. Du steuerst diese Ansagen mit nativem HTML und sauberen Attributen. ARIA ergänzt nur, wenn HTML nichts hergibt.
Wichtige Verhaltensregeln:
- Immer einen sichtbaren und logischen Tastaturfokus liefern. Reihenfolge entspricht der visuellen Lesereihenfolge.
- Kein Fokusfangen im Overlay. Escape schließt. Fokusrückgabe an das auslösende Element.
- Interaktive Elemente sind nativ interaktiv. Keine
<div>-Buttons. Nutze<button>und<a>. - Icons ohne Text brauchen eine Textalternative oder ein
aria-label. Dekorative Icons sindaria-hidden="true".
Die 12 wichtigsten Baustellen im Shop und wie du sie löst
1. Überschriftenhierarchie
Nur eine H1 pro Seite. Danach H2 und H3 in logischer Tiefe. Keine Sprünge. Kategorie- und Produktseiten brauchen klare Struktur. Filter sind nicht H2, wenn sie nicht den Inhalt gliedern.
2. Landmarks
Nutze <header>, <nav>, <main>, <aside>, <footer>. Für mehrere Navigationen setze aria-label wie „Hauptnavigation“ oder „Breadcrumb“. So springen Screenreader-User gezielt.
3. Produktkarten richtig bauen
Jede Karte braucht einen eindeutigen Produktlink mit Titel als Linktext. Preise sind Text, nicht nur Grafiken. Vermeide verschachtelte Links. Beispiel:
<article>
<h3><a href="/p/slug">Sneaker Orion</a></h3>
<p>Preis: <span aria-label="Preis">89,90 €</span></p>
<button type="button" aria-label="In den Warenkorb: Sneaker Orion">In den Warenkorb</button>
</article>

Screenreader onlineshop – E-Commerce News – Tipps & Tricks – ♿ Accessibility im Onlineshop – warum Screenreader-User deine Kunden sind 🗣️
4. Bilder und Alt-Texte
Informationsbilder haben sinnvolle alt-Texte. Rein dekorative Bilder bekommen leere Alts (alt=""). Bei Variantenbildern beschreibst du die Variante, zum Beispiel „Sneaker in Rot, Seitenansicht“.
5. Formulare, Labels, Fehler
Jedes Feld hat ein verbundenes <label for>. Pflichtfelder sind im Label gekennzeichnet. Fehler erscheinen direkt neben dem Feld und sind programmatisch verknüpft: aria-describedby zeigt auf die Fehlermeldung. Zusammenfassung der Fehler am Formularbeginn hilft zusätzlich.
<label for="email">E-Mail</label>
<input id="email" name="email" type="email" aria-describedby="email-error">
<p id="email-error" role="alert">Gültige E-Mail angeben.</p>
6. Tastatursteuerung
Alles ist per Tab erreichbar. Keine Tab-Indizes außer 0 für dynamisch eingefügte Inhalte. Menüs, Akkordeons, Carousels folgen etablierten Keyboard-Patterns. Pfeiltasten für Menülisten, Space und Enter für Aktionen.
7. Live-Regionen für dynamische UI
Warenkorb-Updates, Preisänderungen oder Filterergebnisse kündigst du mit aria-live="polite" an. Keine Dauerspams. Nur neue, relevante Information.
<div aria-live="polite" id="cart-status"></div>
<script>
function added(name){
document.getElementById('cart-status').textContent = name + ' im Warenkorb';
}
</script>
8. Modale und Offcanvas
Fokus beim Öffnen in das Modal setzen. Tab-Fokus im Modal halten. aria-modal="true", role="dialog", beschreibender Titel mit aria-labelledby. Schließen mit Escape und Close-Button.
9. Kontraste und Zustände
Textkontrast mindestens 4.5:1. Interaktive Zustände sind erkennbar: Fokus, Hover, Active. Kontrast gilt auch für Fehlermeldungen, Badges und Preise.
10. Tabellen und Sortierung
Vergleichstabellen brauchen <th scope="col"> und <th scope="row">. Sortierbare Spalten haben aria-sort. Keine Spalten als <div> faken.
11. Medien: Video, Audio
Produktvideos haben Untertitel. Tutorials bekommen Transkripte. Autoplay ohne Ton vermeiden. Der Play-Button ist ein echter Button mit Text, nicht nur ein Icon.
12. Captcha und Sicherheit
Nutze barrierearme Lösungen. Biete Alternativen. Erzwinge keine Aufgaben, die Sehen oder Hören voraussetzen. Reibungslos ist besser als hart.
Rechtlicher Rahmen: Was gilt für Shops
Öffentliche Stellen müssen in Deutschland die BITV 2.0 erfüllen. Für private Unternehmen ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz relevant. Es setzt EU-Vorgaben um und betrifft auch Online-Shops für definierte Produkte und Services. Das Ziel ist ein einheitlicher Markt mit klaren Mindeststandards. Mehr Details findest du in der Übersicht des BMAS: BFSG beim BMAS.
Dein Entwicklungs-Workflow mit Accessibility-Checks
Planung
- User Journeys definieren: Suche, Produkt, Variante, Warenkorb, Checkout, Konto, Retouren.
- Accessible Patterns festlegen: Navigation, Filter, Sortierung, Modale, Toasts, Tabs, Steps.
- Komponentenbibliothek mit Semantik und Keyboard-Verhalten dokumentieren.
Design-Handshake
- Kontrast und Fokuszustände definieren. Größen und Klickflächen sichern.
- Fehlermeldungen, leere Zustände, Ladezustände und Bestätigungen designen.
- Textersatz für Icons und Medien festhalten.
Implementierung
- Semantisches HTML zuerst. ARIA nur ergänzend.
- Komponenten mit Tests: Fokus, Rollen, Labels, Live-Regionen, Escape, Tab-Reihenfolge.
- Server-Fehler und Client-Fehler konsistent binden.
Testing
- Tastatur: Shop komplett ohne Maus bedienen.
- Screenreader-Smoke-Test: NVDA oder VoiceOver öffnen, Produkt finden, in den Warenkorb, Checkout starten, Bestellung abbrechen.
- Automatisierte Checks für Low-Hanging-Fruits. Manuelles Testing für Interaktion.
Für tiefergehende Kriterien nutze im Zweifel die offizielle Spezifikation: E-Commerce-Hinweise der Bundesfachstelle.
Produktdetailseiten: die häufigsten Fallen
- Variantenwahl als Spans ohne Rollen. Besser Buttons mit
aria-pressedfür Zustände oder echte Radios mit Gruppenlabel. - Preis nur visuell betont. Besser klarer Textknoten, Währung im Lesefluss.
- Bewertungen als Stern-Icons ohne Text. Besser „4,6 von 5 Sternen, 128 Bewertungen“ als Text plus visuelle Sterne.
- Sticky-CTA ohne Fokuspflege. Besser Fokusreihenfolge prüfen, keine Sprünge.
- Lightbox ohne Semantik. Besser Dialog-Pattern mit Escape, Fokus-Trap und Beschriftung.
Checkout: Zero-Friction mit Screenreader
Im Checkout zählt Ruhe. Keine Layoutsprünge. Klarer Fortschrittsindikator, zum Beispiel als Liste. Jede Sektion hat eine Überschrift mit Ebene 2. Inline-Validierung ist „polite“, nicht aggressiv. Statusmeldungen gehen in eine Live-Region. Der „Jetzt kaufen“-Button beschreibt die Aktion und den Betrag.
<button type="submit" aria-label="Jetzt kaufen, Betrag 89,90 Euro">Jetzt kaufen</button>
Adressfelder haben Autocomplete-Attribute. Beispiel: autocomplete="given-name", family-name, address-line1, postal-code, country. Das spart Zeit und Fehler. Zahlungsarten sind Radios mit Labels. Zusätzliche Infos werden erst nach Auswahl eingeblendet und sind dann im Fokus erreichbar.
Performance hilft Accessibility
Screenreader leiden unter wackeligen DOMs. Große Re-Renders, späte Hydrierung und verschachtelte Offscreens bremsen. Optimiere Critical Rendering Path. Halte das DOM schlank. Vermeide „unsichtbare“ Doppelbäume. Lade Bilder responsiv. Setze Prefetch klug ein. Alles, was Stabilität bringt, hilft auch der Zugänglichkeit.
Mobile: TalkBack und VoiceOver
Mobile Nutzer arbeiten mit Wischgesten. Fokusmanagement ist hier noch wichtiger. Interaktive Elemente brauchen genug Fläche. Slide-Only-Carousels sind problematisch. Gib alternative Navigation. Prüfe deine Offcanvas-Menüs gründlich. Prüfe die Reihenfolge beim Öffnen des Keyboards. Prüfe „Zurück“ in Browser und App-Shell.
Team-Setup und QA
- Definition of Done enthält Accessibility-Checks.
- Design Review prüft Kontrast, Fokus, Fehlermeldungen.
- Code Review prüft Semantik, Rollen, Labels, Tastatur, ARIA.
- Release-Checklist enthält Tastatur-Run und Screenreader-Run.
- Regression-Tests decken Modale, Toaster, Filter, Formulare ab.
So holst du Feedback von echten Nutzer:innen
Frag deine Community: „Welche Stellen bremsen dich aus? Welche Meldungen sind unklar? Was fehlt dir bei Produktbildern?“ Biete eine kurze, zugängliche Feedback-Form. Reagiere. Baue. Veröffentliche. Bedanke dich. Du wirst bessere Conversions sehen, weil Reibung sinkt.
Dein Mini-Audit zum Start
- Ist die H-Struktur sauber und eindeutig?
- Gibt es
<main>, Navigationen mit Label und eine Sprungmarke „Zum Inhalt“? - Ist jede Aktion per Tastatur bedienbar?
- Bekommen dynamische Änderungen eine dezente Live-Region?
- Haben alle Formfelder Labels, Autocomplete und klare Fehler?
- Gibt es Untertitel und Transkripte für Medien?
- Ist der Fokus sichtbar und logisch?
- Sind Varianten, Tabs und Akkordeons nach Pattern umgesetzt?
- Sind Preise und Rabatte als Text nachvollziehbar?
- Gibt es eine leicht auffindbare Barrierefreiheitserklärung?
Jetzt du: Kommentiere und bring Beispiele
Zeig ein Produkt aus deinem Shop. Schreib, wo der Screenreader stolpert. Frag nach einem Pattern. Teile dein „Aha“. Ich antworte dir mit konkreten Snippets. Lass uns gemeinsam Barrieren abbauen. Deine Kundschaft wird es merken.
Zum Ende noch eine fundierte Ressource mit praktischen Hinweisen für Online-Shops: E-Commerce und BFSG.








Die Sache mit den Farbkontrasten ist so wichtig! Ich habe eine leichte Sehschwäche und diese ganzen hellgrauen Texte auf weißem Hintergrund machen mich wahnsinnig. Warum ist das überhaupt ein Trend geworden?!
Ich arbeite im Finanzsektor und bei uns ist Barrierefreiheit sogar gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem hapert es oft an der Umsetzung. Dieser Artikel sollte Pflichtlektüre für alle Product Owner werden!
Super wichtiges Thema! Aber mal ehrlich: Die meisten Entwickler und Designer haben null Ahnung von Accessibility. Wir brauchen dringend mehr Schulungen und Awareness in der Branche.
Wir haben unseren Baumarkt-Onlineshop letztes Jahr barrierefrei gemacht. Kostenpunkt: 15.000€. Return on Investment nach 8 Monaten erreicht! Die älteren Kunden lieben es, dass sie endlich die Schrift vergrößern können ohne dass das Layout zerschießt 😄
Als Mutter eines sehbehinderten Teenagers kann ich nur sagen: DANKE! Ihr glaubt nicht, wie frustrierend es für meinen Sohn ist, wenn er selbstständig Klamotten online kaufen möchte und dann an der miesesten Navigation scheitert. Er ist 16, technikaffin und hat Geld – die perfekte Zielgruppe eigentlich. Aber viele Shops vergraulen ihn durch fehlende Barrierefreiheit.
Kleiner Tipp aus der Praxis: Wir haben einen Accessibility-Overlay Service ausprobiert (diese One-Click-Lösungen). Totaler Reinfall! Hat mehr Probleme verursacht als gelöst. Macht es lieber gleich richtig und baut Accessibility direkt in den Code ein.
Perfektes Timing! Wir planen gerade den Relaunch unseres Drogerie-Shops und Accessibility steht ganz oben auf der Liste. Die Statistik mit den 15% der Weltbevölkerung mit Behinderungen hat mich echt überrascht. Das ist ja jeder 7. Mensch!
Ich bin blind und kaufe regelmäßig online ein. Was mich am meisten nervt: Captchas! Die Audio-Versionen sind oft unverständlich und bei den Bild-Captchas bin ich komplett aufgeschmissen. Bitte, liebe Shop-Betreiber, nutzt alternative Methoden!
@Frank Müller: Stimmt, die technischen Details fehlen etwas. Aber als Einstieg ins Thema finde ich den Artikel super! Für die komplexeren Sachen empfehle ich die ARIA Authoring Practices Guide. Wir haben unseren kompletten Möbel-Konfigurator damit barrierefrei bekommen – war eine Herausforderung, aber machbar!
Guter Artikel, aber etwas zu oberflächlich. Wie sieht es mit komplexeren Themen aus? Product-Slider, Filterfunktionen, Ajax-Loading? Da wird’s richtig knifflig mit der Accessibility.
ENDLICH! Ich arbeite seit Jahren im E-Commerce und predige das Thema Accessibility, aber höre immer nur ‚zu teuer‘, ‚zu aufwändig‘, ‚lohnt sich nicht‘. Dieser Artikel zeigt perfekt, warum das Quatsch ist. Allein der rechtliche Aspekt sollte jeden Shop-Betreiber aufhorchen lassen. Das BFSG kommt und dann wird’s richtig teuer für alle, die nicht vorbereitet sind. Wir bei unserer Buchhandlung haben schon 2023 umgestellt und seitdem konstant steigende Umsätze. Nicht nur von Menschen mit Behinderungen, sondern auch von älteren Kunden, die endlich vernünftig bei uns einkaufen können. Ich schicke den Artikel direkt an mein Netzwerk!
Wir haben einen Sportartikel-Shop und ich dachte immer, unsere Zielgruppe sind hauptsächlich junge, sportliche Menschen. Aber ihr habt recht – auch Menschen mit Behinderungen treiben Sport! Nach diesem Artikel werden wir definitiv in Accessibility investieren.
Als UX-Designerin kann ich nur unterschreiben, was hier steht. Accessibility ist kein Nice-to-have, sondern ein Must-have! Wir designen gerade für einen großen Elektronik-Retailer und haben von Anfang an Nutzer mit Screenreadern in die Tests einbezogen. Die Insights waren Gold wert! Zum Beispiel hatten wir ein fancy Mega-Menü mit hover-Effekten, das für Screenreader-Nutzer komplett unbrauchbar war. Jetzt haben wir eine elegante Lösung mit ARIA-Labels und Keyboard-Navigation. Der Kunde ist begeistert, weil sich die Absprungrate um 12% reduziert hat.
Danke für die praktischen Tipps! Die Sache mit den aussagekräftigen Link-Texten werde ich direkt umsetzen. ‚Hier klicken‘ habe ich tatsächlich überall drin 🙈
@Björn Petersen: Da muss ich widersprechen! Accessibility betrifft nicht nur Menschen mit dauerhaften Behinderungen. Denken Sie an temporäre Einschränkungen (gebrochener Arm), situative Einschränkungen (helles Sonnenlicht auf dem Display) oder altersbedingte Sehschwächen. Wir alle werden älter und sind irgendwann auf barrierefreie Angebote angewiesen. In unserem Medizintechnik-Shop haben wir nach der Umstellung auf WCAG 2.1 AA Standard eine 23% höhere Verweildauer und 18% mehr Conversions. Die Investition zahlt sich aus!
Interessant, aber ist das wirklich so wichtig? Klingt nach viel Aufwand für eine kleine Zielgruppe…
Super Artikel! Wir haben letztes Jahr unseren kompletten Fashion-Shop überarbeitet und dabei Accessibility von Anfang an mitgedacht. Der Aufwand hat sich gelohnt: Nicht nur haben wir neue Kundengruppen erschlossen, auch das SEO-Ranking ist deutlich besser geworden. Win-Win würde ich sagen 👍
Endlich mal jemand, der das Thema anspricht! Ich bin selbst sehbehindert und die Shopping-Erfahrung in den meisten Onlineshops ist eine Katastrophe. Bilder ohne Alt-Texte, Buttons die nur ‚Klick hier‘ heißen, Formulare ohne Labels… Es ist 2025 und gefühlt haben 90% der Shops das immer noch nicht verstanden. Dabei würde ich gerne mehr online kaufen, aber oft gebe ich frustriert auf.
Wow, dieser Artikel hat mir wirklich die Augen geöffnet! Als Betreiberin eines kleinen Schmuck-Onlineshops hatte ich Accessibility ehrlich gesagt nie auf dem Schirm. Aber die Zahlen sprechen ja für sich – 7,8 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland, das ist eine riesige Kundengruppe! Ich werde direkt mal unseren Shop mit einem Screenreader testen. Danke für den Weckruf!